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Lust ohne Zauber. Nora Bossong. Rotlicht.

Nora Bossong. Rotlicht.

Es ist schon einige Wochen her, seitdem ich Nora Bossongs Essays aus dem Sexgewerbe gelesen habe. Sie wirkten so stark nach, dass es mir zunächst schwerfiel, über sie zu schreiben. Vielleicht lag das an der Intensität, mit der die LeserInnen eintauchen in eine Welt, die in ihrer brutalen Trostlosigkeit nah und fern zugleich, eine Faszination ausstrahlt, der man sich im selben Moment abgestoßen entziehen möchte.

Nora Bossong macht sich in „Rotlicht“ auf den Weg, die geheimnisvollen Eindrücke ihrer Kindheit zu enträtseln, und öffnet die für die Heranwachsende damals noch verschlossenen „rotlackierten Türen“, deren Räume dahinter Befriedigung und Lust versprechen.

Doch auch im Erwachsenenalter muss die Autorin feststellen, dass es gerade für eine Frau nicht leicht ist, in die „Domäne zeitloser Männlichkeit“ vorzudringen. Denn „man wäre ein Fehler im System, eine Art Machttransvestit“. Deswegen sucht sich die Autorin männliche Begleitpersonen aus, die nicht nur Schutzfunktion besitzen, sondern gleichzeitig interessante Beobachtungsobjekte und Reflexionspartner über das Erfahrene darstellen.

Die Erkenntnisse, die aus den Besuchen der unterschiedlichsten Einrichtungen des Sexgewerbes resultieren, sind deswegen so interessant, weil Bossong das verstörende das sie sieht, strukturell durchleuchtet, und nichts auf der reinen Gefühlsebene bleibt. Dadurch wird „Rotlicht“ zu einer Gesellschaftsstudie, die aktueller nicht sein könnte. Soziologisch-philosophisch dringt sie mit ihren Begleitern vor in die „verwaltete Lust“, lässt sich berühren, verstören, wütend machen, um immer wieder zu erkennen, dass es um die männliche und niemals um die weibliche Lust geht. Bossong differenziert dabei begrifflich, indem sie das Gefühl der Begierde vom reinen Lustgewinn trennt. Die Begierde ist emotional komplexer, weil sie eigene Phantasien miteinbezieht in das Liebesspiel, durch die das Liebesobjekt eine Art Subjektstatus erhält. Bei den Geschäften mit der Lust allerdings zeigt sich, dass es lediglich um ein schnelles, lustvolles und effizientes „Abspritzen“ geht.

Bossongs erste geöffnete Tür führt in eine Table-Dance-Bar im Frankfurter Bahnhofsviertel, wo sie ernüchtert feststellt:

„Das Frankfurter Bahnhofsviertel ist eine Reeperbahn ohne Folklore, eine heruntergekommene Vergnügungsmeile, auf der zumindest ich mir auf den ersten Blick Vergnügen nicht vorstellen kann.“

Ihre Suche danach, in der inszenierten Künstlichkeit etwas über Lust zu erfahren, aber vor allem auch darüber, was sie aus den Menschen macht, bleibt auf ihrer ersten Station erfolglos. Wie Fremdkörper betrachten sie und ihr Begleiter die traurigen Shows an der Stange, daran mehr oder weniger gutaussehendes Fleisch, das trotz akrobatischer Bemühungen oft in der Auslage liegenbleibt, weil der Kunde (noch) weniger bezahlen möchte als gefordert.

Deutlich wird schon im ersten Essay, dass es Bossong nicht alleine darum geht, einen Einblick in das aktuelle Sexbusiness zu erhalten, sondern sie den persönlichen Anspruch hat, die eigene, weibliche Sexualität, besser kennenzulernen.

In einem Kapitel über Tantramassagen wird dieser Anspruch besonders deutlich. Dort probiert die Autorin aus wie es ist „eine Fremde für Intimität zu bezahlen“. Plötzlich ist sie nicht mehr nur reine Beobachterin einer Szene, die außerhalb von ihr passiert, sondern sie bewegt sich unter Einsatz ihres eigenen Körpers in ein System hinein, um tiefer begreifen zu können, was reizvoll daran sein kann, weibliche Sexualität aus dem Bereich des Privaten herauszuholen. Sie buchstabiert ihre persönlichen Erfahrungen dabei nicht geschwätzig aus, sondern beobachtet stattdessen sensibel genau, was sie phänomenologisch, also auf der Bewusstseinsebene, mit ihr anstellen.

Das Stichwort „weibliche Sexualität“ bleibt in allen Essays vorherrschend und oft bekommt man den Eindruck, dass sie ohne Rückbezüglichkeit zur Lust des Mannes gar nicht existiert, weil sie keine Chance hat sich zu entfalten. Die Frau empfindet Lust, wenn überhaupt, als stöhnendes Objekt für den Mann. Die Venus-Messe in Berlin ist ein Beispiel dafür:

„Die uralten Hierarchien aber sind auch hier beibehalten:

Allein Frauen spreizen in den Messehallen in endloser Lohnarbeit die Beine, und unzählige Männer starren  dazwischen. Die größtmögliche Emanzipation auf der Venus-Messe scheint dann zu herrschen, wenn auch Pärchen auf Frauen starren.“

Bossongs Streit mit ihrem Begleiter darüber, ob die Nachfrage das Angebot, oder das Angebot die Nachfrage (Bossong) diktiert, verdeutlicht, wie sich vom Geld dominierte Geschlechterstereotype immer wieder unhinterfragt selbst bestätigen. Ein Teufelskreis, in dem die weibliche Lust ein Hirngespinst idealistischer Feministinnen bleibt.

Gespräche sind es, die Bossongs Exkursionen intellektuell unterfüttern. Sie spricht zum Beispiel mit dem legendären Sexkinoproduzenten Stöckli, einem erfolgreichen Schweizer Unternehmer, der allerdings auch kein wirkliches Interesse daran hat, sich um die weibliche Lust zu kümmern. Wozu auch? Solange, wie bereits angedeutet, das Geschäft läuft, kann das „Rätsel Frau“ ruhig, zumindest für die Männerwelt, verschlüsselt bleiben. Vielleicht ist es auch besser so, weil sie bei ihrer Enträtselung möglicherweise nicht mehr willenlos jeden Regieanweisungen Folge leisten, denn:

„Es ist ein Zeichen gut funktionierender Herrschaft, wenn Hörigkeit und Unterwerfung sich vom Befolgen äußerer Befehle und Kontrollen zu eigenen inneren Wünschen wandeln, wenn sie verinnerlicht werden.“

Frauen erlernen sexuelle Lust, und finden durch die Wiederholungen des Erlernten oft keine Möglichkeit, das ganz eigene ihrer Begierde, getrennt von den Vorstellungen des anderen, zu entdecken. Die eigene Phantasie wird überlagert von stereotypen Bildern, die Bossong auch während des Besuchs eines heruntergekommenen Sexkinos bestätigt sieht. Es ist ein trauriges Dasein für den Menschen, wenn er seine gewohnte Identität nur zwischen bereits eingefleckten Kinopolstern ablegen kann. Wo bleibt das Spielerische in der Sexualität zwischen den PartnerInnen, geht es nicht auch darum, „das Gegenüber nicht nur körperlich greifen, sondern uns durch den anderen ergreifen lassen“ zu können?

In allen Einrichtungen, die Bossong betritt, und auch in den Gesprächen mit Prostituierten, wird deutlich, dass das Sexgewerbe gerade davon lebt, dass man dort gefühllos und mechanisch seine Triebe befriedigen kann. Liebende und anerkennende Gefühle leben die Partner zu Hause in der Ehe aus, wie Bossong von Kunden zumindest berichtet wird.

So finanziert sich das Sexgewerbe durch die strikte Trennung zwischen Sex und Liebe, weil insbesondere das männliche Geschlecht diese Trennung hinzubekommen vermag.

Weibliche Begierde (!) scheint da etwas komplexer zu sein, vielleicht weil sie offen sein möchte für das zauberhafte, geheimnisvolle im Anderen. Also für das, was Erotik ausmacht. Sonst würde wohl ein breites Angebot entsprechender Callboys genutzt werden. Den Frauen (und natürlich auch zahlreichen Männern), ist unterschwellig bewusster,  dass

„jeder einzelne Kauf immer auch Entzauberung bedeutet – und wir allein bleiben mit der trostlosen Macht, über etwas oder jemanden zu herrschen.“

 

 

 

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