Nur noch Mängelexemplare. Chloé Delaume. Das synthetische Herz.

Adélaide hat das fade Eheleben satt. Sie möchte sich endlich einmal wieder frisch verlieben, von einem fremden Mann begehrt werden. Doch so einfach, wie sie sich das vorgestellt hat, wird es nach der Trennung nicht. Die meisten Männer sind vergeben oder haben keinen Blick für reifere Frauen Mitte vierzig. Nach erfolglosen Versuchen, einen passenden Partner zu finden, kauft sie sich eine Katze und tröstet sich mit ihren Freundinnen beim Klatsch und Tratsch im Kaffee. Das synthetische Herz der Autorin Chloé Delaume, wurde 2020 in Frankreich als feministische Neuerscheinung gefeiert, was nicht einleuchtet. Zumindest wenn man unter Feminismus eine starke Haltung gegenüber patriarchalen Unterdrückungsmechanismen versteht. Das Selbstwertgefühl der Protagonistin ist nämlich durchweg abhängig von der Anerkennung, die es durch Männerblicke erhält. Sehen diese durch ihren Körper hindurch, wird sie depressiv und verkriecht sich in ihre kleine, überteuerte Pariser Junggesellinnenwohnung.

Doch die Lektüre lohnt sich, weil der Roman von Seite zu Seite amüsanter wird. Das liegt u.a. an den schonungslosen Beschreibungen über die Verlagsszene, die immer noch patriarchal ist, das heißt, von autoritärer, männlicher Hand geführt wird. Adelaide ist eine der fleißigen Pressefrauen, die zu spuren hat. Und sie macht einen guten Job, weil sie weiß, wie sie Leute ansprechen muss. Sie besitzt das nötige psychologische Gespür dafür, andere für sich und die eigenen Ideen zu gewinnen. Satirisch aber schmerzlich realistisch wird dabei das Konkurrenzverhalten der Pressefrauen untereinander beschrieben. Adelaide nennt ihre härteste Konkurrentin nur die Rüsselviper, der sie Abführmittel in die Cola schüttet, um sie bei einer Fensehsendung außer Gefecht zu setzen. Beide wollen dem ihnen jeweils anvertrauten Autor die Chance auf den Prix Goncourt ermöglichen, nur eine kann gewinnen. Feministischer wäre es, die Pressefrauen würden sich gegen die Verlagsherren zusammenschließen, von denen die eigentliche Gefahr ausgeht: Gekündigt zu werden – wenn sie nicht gut genug funktionieren, ihre Titel nicht ausreichend bewerben. Frauen orientieren sich hier aber lieber an der Macht der Männer, versuchen ihnen zu gefallen und stechen mögliche Rivalinnen eiskalt aus. Auf der Strecke bleiben sie trotzdem oder gerade deswegen.

Bald ist Adelaide nicht nur ohne Liebe, sondern sieht sich gezwungen, zum Independent-Verlag Humpty-Dumpty zu wechseln. Auch weil sie keine Lust hat, wirtschaftlich vielversprechende aber langweilige Bücher mit Titeln wie Geschichte(n) unseres Käses zu bewerben. Auf ihr literarisches Niveau ist die Singledame stolz, darauf lässt sie nichts kommen. Die Frage, ob experimentelle Literatur in der aktuellen Verlagslandschaft zu Grabe getragen werden muss, weil sie niemand mehr verlegt, schwingt zwischen den Zeilen immer wieder mit, wird in der gewinnorientierten Arbeitswelt sichtbar.

Weniger selbstbewusst entwickelt sich ihre verweifelte Partnersuche, bei der bald das Motto gilt: Je hässlicher, umso potentiell liebenswerter. Doch da täuscht sie sich gewaltig und sie kommt mit ihren Freundinnen desillusioniert zur Erkenntnis, dass das, was noch auf dem Markt ist, aus Mängelexemplaren besteht; wobei doppeldeutig hier auch auf die mangelhafte Buchproduktion großer Konzerne angespielt wird.

Das synthetische Herz liest sich leicht, mit einem hohen Lustfaktor und beschreibt wie nebenbei Lebensentwürfe von Frauen, die sich keine eigene Familie wünschen, sondern jenseits der Norm nach Glück streben. Das ist dann doch ein feministischer Ansatz. Als eindeutig feministisch könnte der Roman bezeichnet werden, wenn die von der internationalen Presse gefeierte sisterhood unter den Freundinnen stärker wäre als die verzweifelte Suche nach einer passenden Partnerschaft. So ziehen sich die Freundinnen gegenseitig in den alkohol- und zigarettengeschwängerten, selbstmitleidigen Sumpf, bestätigen sich in ihrem gefühlten Opferstatus, statt ihre Egos empowernd aufzupolieren. Denn: Das Leben ist eine Zumutung – sich das gegenseitig immer wieder zu bestätigen, nutzt niemandem etwas.

Darauf bitte einen Gin-Tonic mit Zitrone!

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