Monats-Archiv:April, 2016

Blaue Drachen und weibliche Geeks. Unicorns don’t swim. (Antje Wagner Hrsg.)

Antje Wagner (Hg.). Unicorns don't swim. Erzählungen.

Antje Wagner (Hg.). Unicorns don’t swim. Erzählungen.

Letztens war ich auf einer Lesung der „Welt“- Kolumnistin und Buchautorin Ronja von Rönne. Der Ronja von Rönne, die vor einem Jahr einen shitstorm im Netz auslöste, weil sie schrieb, dass der Feminismus sie anekele. Während der Lesung aus ihrem Roman Wir kommen (Aufbau Verlag, 2016) und dem zwischendurch geführten Gespräch mit dem Moderator, wurde mir deutlich, warum Frau von Rönne persönlich keinen Feminismus braucht:

Sie ist der (personifizierte) Feminismus!

All seine historischen Vorreiterinnen, von Olympe de Gouges, über Simone de Beauvoir, zu, meinetwegen Alice Schwarzer, haben sich essenziell in ihrem Bewusstsein festgesetzt, und lassen sie so selbstbewusst agieren, dass der Zuschauer wirklich davon überzeugt wird, dass sich die Plackereien der Aktivistinnen bei ihr gelohnt haben. Also ist er mittlerweile überflüssig, der Feminismus.

Diejenigen, die allerdings eine andere Meinung vertreten, weil sie zum Beispiel weder weiss noch hetero sind, und aus keinem wohlhabenden Elternhaus stammen, gehen dann schnell im amüsanten Geplapper der Privilegierten unter. Aber gut. Müssen sie eben lauter sprechen, sich Gehör verschaffen. Außerdem:  wer hat schon Lust, sich etwa mit dem Leben einer ausgebeuteten Putzfrau zu beschäftigen, wenn es Erzählungen über Hippsterpartys gibt, die im immer gleichen Brei das eigene, eintönige Leben bestätigen und in ihrer Langeweile ungemein beruhigend wirken.

Ronja von Rönne vertextet die eine Wirklichkeit, und das macht sie überzeugend – keine Frage. Sie beschreibt eine künstliche, hohle Welt ohne Substanz, in der stromlinienförmig agiert, bzw. bloß noch seelenlos reagiert wird.

Aber gab es und kennen wir diese Wirklichkeit nicht schon zur Genüge? Aus interessantem Schreibstoff bestehen doch eigentlich die Momente, in denen Formen der (utopischen) Befreiung, wenn auch nur blitzlichtartig, aufscheinen.

Erfrischend alternative Wirklichkeiten werden uns in der Anthologie Unicorns don’t swim (AvivA Verlag, 2016) von der Herausgeberin und Mitautorin Antje Wagner vorgestellt. Im Vorwort bemerkt sie treffend, dass alle Kurztexte, teilweise sehr junger Autorinnen, wie etwa In Strömen von Sophie Micheel (Jahrgang 1991) oder Und wie heißt du? von Kim Katharina Salmon (Jahrgang 1999), ein sich überschneidendes Element haben:

„Unicorns don’t swim lässt uns in 22 Erzählungen auf ganz unterschiedliche Weisen über unsere eigenen Erwartungen stolpern, über Erwartungen an eine Geschlechterrolle und über Muster, die unseren Blick fest im Griff haben. Oftmals merken wir nur an einer Irritation, wie sehr wir mit diesem vorgeprägten Blick leben – und lesen. Dieses Moment der Irritation ist es, was die Erzählungen dieser Sammlung verbindet.“

Stark an den Geschichten dabei ist, dass keine Gegenbilder zu den Stereotypen erzählt werden, wir also keine Opfergeschichten vorgesetzt bekommen. Man ist als Leser/in vielmehr verwundert, wie schwer abzuschätzen ist, wie die Erzählung ausgeht. Obwohl einem bereits nach der Lektüre des Klappentextes bewusst ist, dass es (auch) um „queere“ Geschichten gehen wird, in denen heteronormative Lebensformen infrage gestellt werden, entsteht immer wieder neu ein Moment der Überraschung – worüber man sich gleichfalls selbst erneut wundert, weil man sich doch als „gegenderte“ und jederzeit eigenständig denkende Person empfindet.

Vielleicht sind es u. a. die literarischen Formen der Verfremdung, die diesen Effekt beim Lesen erzeugen, wie zum Beispiel in der Erzählung Feuer und Flamme von Antje Wagner. Darin geht es um zwei frischvermählte Frauen. Eine der beiden verwandelt sich kurz nach der Hochzeitsnacht in einen „Drachen“:

„Noch angenehm erschöpft von der vergangenen Nacht machte ich die Badezimmertür auf, starrte eine Weile verständnislos hinein, machte die Tür wieder zu, zählte bis zehn und öffnete sie wieder. In meinem Badezimmer stand ein Drache. Der Drache war blau, kämmte sich gerade seine drei wolligen, ebenfalls blauen Haare und drehte sich dann zu mir um. Er sah mich irgendwie – begeistert an.“

Wofür auch immer der Drache genau steht – zeigen lässt sich an dieser Passage gut, warum der Erzählband nicht nur für Jugendliche eine wahre, identitätsstiftende Erkenntnisfundgrube ist, sondern auch die so offenen und vorurteilslos-aufgeklärten Erwachsenen herausfordert.

Ein weiteres Highlight der Sammlung ist die Erzählung Metamorphose von Tania Witte:

„Eines Morgens vor eintausendsiebenhundertvierzig Tagen wachte Alina auf und hatte keine Mutter mehr. Kein klapperndes Geschirr hatte sie an diesem Sonntag geweckt, es hatte nicht nach Kaffee und Toastbrot gerochen und niemand hatte durch die Bettdecke in ihren großen Zeh gekniffen…“

Da verschwindet von einem Tag auf den anderen die Mutter, also eine typische Scheidungskindgeschichte. So der erste Eindruck. Nach und nach entsteht eine Ahnung davon, wohin die Reise geht, und man erwacht mit einem Schmunzeln. Ein Geheimnis, das in einer emanzipierten Gesellschaft kein Geheimnis sein dürfte, führt in Metamorphose zu einer Traumatisierung, die nachdenklich macht. Ohne Pathos oder moralische Belehrungen wird hier vom Ungewöhnlichen erzählt, mit dem Effekt, Tabus infrage zu stellen.

Dabei verliert sich keine der Erzählungen in moralisierenden Phrasen, gerade weil die Protagonistinnen rebellisch sind. Sie brauchen unser Mitleid nicht, da sie sich kämpferisch in ihrem eigenen, authentischen way of life vorstellen, um nicht am „widerlichen Einheitsbrei“ (Katrin Schrocke, Ira) unserer heutigen Gesellschaft zu ersticken.

Die jungen Frauen bewahren Haltung in einem familiären Umfeld, von dem sie nicht akzeptiert werden, weil sie keine schönen Kirschköniginnen sein wollen, sondern lieber Hanteln stemmen und die mindestens genauso ruhmreiche Rolle der Lebensretterin spielen (Katrin Schrocke, Kirschkönigin).

Die Titelerzählung Unicorns don’t swim (Sabine Funder) ist für weibliche Computer-Geeks eindrückliches Sprachrohr. Durchwachte Nächte auch in Schulwochen gehören für Programmiererinnen dazu, wenn Einhörner nicht schwimmen können und weites Springen über Flüsse erst erlernen müssen:

„Als sie die Kekskrümel abstrich, die sich über Nacht auf Brust und Bauch angesammelt hatten, unterdrückte sie ein Gähnen. Ein rascher Blick in den Spiegel versicherte ihr, dass von dem Glas Nutella, das sie während ihres nächtlichen Programmiermarathons verschlungen hatte, keine verräterischen Spuren mehr zu sehen waren. Die Mundwinkel waren blitzeblank. Siiri fuhr sich einmal durch die raspelkurzen, blau-schwarz getönten Haare und dann war sie auch schon aus der Tür verschwunden.“

Auch in dieser Geschichte kämpft eine junge Frau darum, von den anderen so akzeptiert zu werden, wie sie ist. Es ist ein Glück, dass sich ihr Freund Paul, der mit „hellgrün lackierten Fingernägeln“ Drachen für ein Computerspiel zeichnet, mit ihr zusammen in der Klasse sitzt, und sich solidarisch auf ihre Seite stellt.

Überhaupt spielt freundschaftliche Solidarität in fast allen Geschichten eine große Rolle. Egal ob man sich gegen die Berufserwartungen der Eltern stemmen muss, um seine eigene Identität entwickeln zu können (Antonie Parteil, Hellhelden), oder ob die Utopie geträumt wird, dass es irgendwann einen heimatlichen Ort gibt der, „zwischen entweder und oder“, bestehen darf (Corinna Waffender, Alles, was ich will). Immer ist da zumindest eine Bezugsperson, die die andere oder auch den anderen in seinem Entwurf unterstützt.

Die Journalistin und promovierte Philosophin Carolin Emcke thematisierte vor ein paar Jahren in ihrem autobiographisch gefärbten Buch Wie wir begehren das Schicksal eines Heranwachsenden, der an seiner Homosexualität zerbricht, weil er keinen Halt in einer Gruppe oder auch einem anderen Menschen findet. Aus diesem Grund entwickelt sich die gesellschaftliche Norm, hetero sein zu müssen, zu einer unüberwindbaren, selbstzerstörerischen Macht.

Die Texte der Anthologie hingegen begeben sich, wie bereits betont, nicht (mehr) auf eine mögliche Opferebene, sondern erzählen mit einer Selbstverständlichkeit von gesellschaftlich immer noch wenig etablierten Verhaltens- und Lebensweisen. Effekt ist hierbei, dass die innere, oft künstlich aufrecht erhaltene Grenze zwischen dem Eigenen und dem Fremden verschwimmt, ohne dass die Leser/innen es bewusst bemerken.

Wir bräuchten viel viel mehr solcher Stimmen – gerade auch für den Schulunterricht – um auf subersiv-spielerische Weise, früh anerzogene Erwartungen an Geschlechterrollen zu hinterfragen und Lebensentwürfe aus ihrem unfreien Korsett immer wieder reproduzierter Normen zu befreien.

Ronja von Rönne muss sich für diese anderen Erzählungen, diese anderen Geschichten von Frauen, nicht interessieren, weil sie der Feminismus nicht interessiert. Es ist nur schade, weil der Feminismus intelligente Frauen und Männer prinzipiell eigentlich braucht, damit alle Formen von Wirklichkeit zusammen das eine Ziel verfolgen können:

sich frei zu fühlen im eigenen Lebensentwurf, weil er der eigene sein darf.

 

 

 

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