Kategorie Archiv:Lateinamerika

Liebhaberinnen und Mütter. Vollmond hinter fahlgelben Wolken. Anita Djafari/Jürgen Boos (Hrsg.)

Vollmond hinter fahlgelben Wolken. Djafari, Boos (Hrsg.)

Literatur von Autorinnen aus Afrika, Asien, Lateinamerika und der arabischen Welt ist in Europa wenig bekannt und nur einzelne, wie zum Beispiel die Friedenspreisträgerin Assia Djebar, konnten sich bisher einen Namen machen. Dabei lohnt es sich, die Texte zu entdecken, auch aus einer manchmal ungewöhnlichen Sicht, über Themen wie Mutterschaft oder die Arbeit in prekären Verhältnissen, erzählt zu bekommen. Ungewöhnlich auch nur deswegen, weil sie selten zu Literatur verarbeitet werden, das Innenleben einer Putzhilfe wenig literarisches Interesse hierzulande findet. Dabei sind das weibliche Lebenswirklichkeiten, die auch im scheinbar so privilegierten Deutschland zuhauf vorkommen, jedoch keine Stimme erhalten und überwiegend unsichtbar bleiben.

Die ProtagonistInnen der Anthologie mit dem wunderbar poetischen Titel Vollmond hinter fahlgelben Wolken sind fast ausschließlich weiblich, Frauen die als Haushälterinnen, Liebhaberinnen, Ehegattinnen und Mütter einen individuellen Blick auf ihr eigenes Leben und ihre Umgebung werfen.

Individuen, die sich zum Beispiel ihren Ehemännern verweigern und sich stillschweigend in Pflanzen verwandeln, wie die Protagonistin in der Erzählung Die Früchte meiner Frau, der koreanischen Autorin Han Kang. Dabei führt die zunächst inhaltliche Konzentration auf das Innenleben der Ich-Erzählerin zu einer psychologisch genauso interessanten Beleuchtung des Ehemannes, der die langsame Pflanzwerdung seiner Frau nicht versteht, sich nur selbst seiner eigenen Einsamkeit immer stärker bewusst wird.

Einseitige Betrachtungen sind im Erzählband, den Anita Djafari und Jürgen Boos zum 30. Jubiläum des LiBeraturpreises zusammengestellt haben, zum Glück Mangelware.  Er ist auch deswegen ein Fest, weil die Texte mit gängigen Rollenklischees brechen, mit stereotypen Bildern über Männlichkeit etwa, wie in Jamaika Kincaids „Rolands Lied“. Da betrachtet eine Liebhaberin ihren aus beruflichen Gründen körperlich stark beanspruchten Liebhaber nach dem Geschlechtsakt mit einem schonungslos klaren und zugleich verliebten Blick, sinniert über folgenden, seltsamen Gegensatz:

Aber wie ist es möglich, dass ein Mann, der große Säcke voller Zucker oder Baumwollballen vom Morgengrauen bis zum Sonnenuntergang auf dem Rücken tragen kann, innerhalb von fünf Minuten in einer Frau total erschöpft ist?

In Hanan von Dima Wannous betrügt eine Frau ihren Ehemann, nicht nur um finanzielle Vorteile aus den Beziehungen für ihre Ehe herauszuschlagen, nein, sie hat auch viel Spaß dabei. Was macht der gehörnte Ehemann? Er schmiegt sich „sanftmütig“ jede Nacht an den großen, starken Körper seiner Frau und „dankt Gott dafür, dass er ihm diese großartige und opferbereite Frau geschenkt“ hat.

Thematisch ganz unterschiedlich beleuchtet wird das Thema der Mutterschaft. In Wie eine gute Mutter von Ana Maria Shua verzweifelt eine Frau daran, eine gute Mutter sein zu wollen. Sie verzweifelt daran so sehr, dass sie Gefahr läuft von ihren widerspenstigen Kindern fahrlässig getötet zu werden, weil sie aufgrund ihrer Ansprüche einen Erziehungsfehler nach dem nächsten begeht, sich ihre Kinder in Bestien verwandeln. In dieser Erzählung wird, wie so oft in dem phantastischen Sammelband, beinahe beiläufig mit Stereotypen gebrochen, hier mit der Meinung, Mütter wüssten instinktiv, wie sie sich ihrem Nachwuchs gegenüber verhalten sollten. Diese Mutter weiß nichts, ist völlig überfordert mit der Situation, aber vor allem mit den Ansprüchen, die die Gesellschaft an sie als „gute Mutter“ stellt. Sie kann nur scheitern:

Tom schrie. Mama war in der Küche beim Teigkneten. Tom war vier Jahre alt, gesund und ziemlich groß für sein Alter. Er konnte sehr lange sehr laut schreien. Mama las dauernd Bücher über Kinderpflege und Erziehung. In diesen Büchern und auch in Romanen waren Mütter (die guten Mütter, die ihre Kinder wirklich lieben) imstande, die Gründe für das Schreien eines Kindes zu erkennen, sie brauchten nur ein wenig auf die Klangfarbe zu achten.

Oft ist es der gesellschaftliche Druck, der das Innenleben der Protagonistinnen aus dem Gleichgewicht bringt. Allerdings wissen sich die meisten zu wehren, suchen sich zum Beispiel Liebhaber, wie etwa Ana, in Das Cacomixtle von Liliana Blum, einer Erzählung, in der der Hausfrau und Mutter eine Rolle zugesprochen wird, die immer noch viel häufiger Männern angedichtet wird:

Was Ana mit Marcelo hatte, war reiner Sex. Sie hatten sich nie außerhalb des Motels gesehen. Sie waren nie gemeinsam essen gegangen oder ins Kino. Sie kannten kein einziges Mitglied ihrer jeweiligen Familien und würden niemals zusammen in den Supermarkt gehen.

Überhaupt werden Geschichten von Frauen erzählt, die aufbegehren, die lügen und betrügen, auch ohne auf die Gefühle der Männer zu achten. Umsonst sucht man nach zerbrechlichen Geschöpfen, die auf den rettenden Prinzen warten. Auch wer ganz unten ist, versucht, sich eine Luftblase zum Atmen zu erkämpfen.

Besonders eindrucksvoll wird das an den Texten sichtbar, in denen sich die von Geburt an zweifach marginalisierten Stimmen Gehör verschaffen. Die junge Haushälterin Claude in Drei Frauen in Manhattan der Autorin Maryse Condé, ist nicht nur als Frau geboren, sondern kommt dazu aus armen Verhältnissen. Ihr Glück sucht sie weit weg, in New York. Wie stark der soziale Stand die eigene Biographie prägen kann, wie schwer es ist, sich aus den Fesseln sozialer Hierarchien zu befreien, wird in der Erzählung dadurch deutlich, dass die Reichen ihre Träume leben und die Armen durch ihre Träume zwar am Leben bleiben, aber niemals das erreichen, was sie erreichen könnten, wenn sie die finanziellen Mittel hätten. In Zwei Linien von Leticia Martin führt die Gewissheit, sich als Putzhilfe eine eigene Familie nicht leisten zu können, zu einer forcierten Abtreibung des Fötus auf dem Fußballfeld. Die Protagonistin läuft so lange dem Ball hinterher, bis ihr Körper völlig entkräftet „gutes Blut“ fließen lässt.

Traurig-berührende Geschichten wechseln sich mit kraftvoll-komischen ab, sodass zuletzt ein Mischgefühl zurückbleibt und der Eindruck, dass Frauen in Europa zwar immer noch privilegierter sein mögen, der Wunsch nach Freiheit und auch die Kraft, errungene Freiheiten zu erhalten,  in der außereuropäischen Literatur aber eine ungemein wohltuende Strahlkraft hat. Die Protagonistinnen verstehen es, sich männlich dominierte Räume anzueigenen, und wenn das nicht funktioniert, sich der fremden Macht zumindest zu entziehen, um sich zur Not eben in eine Pflanze zu verwandeln.

Das erinnert an Sartres radikalen Freiheitsbegriff. Es gibt immer eine Wahl der Möglichkeiten, auch wenn diese durch äußere und innere Zwänge eingeschränkt ist.

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